Wien

Aortenklappen-Ersatz: Schonende Alternative zur Operation am offenen Herzen - Neues Transkatheter-System im AKH Wien erstmals implantiert - Interdisziplinäre „Heart Teams“ sorgen für optimale Therapie-Entscheidung

Pressegespräch: Die degenerierte Aortenklappe und ihre Therapiemöglichkeiten: Minimal-invasiver Herzklappenersatz für Patientinnen und Patienten mit hohem Operationsrisiko

Wien, Mittwoch, 10. Juli 2013  Für viele Menschen mit krankhafter Verengung der Aortenklappe (Aortenklappenstenose, Aortenstenose) gibt es eine schonende Alternative zu Operation am offenen Herzen: den Transkatheter-<wbr />Aortenklappenersatz (Transcutaneous Aortic Valve Implantation, TAVI). Ein Beispiel für eine TAVI ist die Engager™-Klappe (Medtronic), die im Februar 2013 die CE (Conformité Européenne)-Kennzeichnung erhalten hat und jetzt erstmals in Österreich im AKH Wien implantiert wurde.

„Bei TAVI wird ein Katheter – ein flexibler, dünner Schlauch – verwendet, um eine faltbare Herzklappenprothese in das Herz einzusetzen“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Günther Laufer (Leiter der Klin. Abt. für Herzchirurgie, AKH/MedUni Wien). Dieser Katheter kann wahlweise über die Leistenarterie („transfemoral“), über die Unterschlüsselbeinarterie („subclavial“), über die Aorta („transaortal“) oder, wie bei der Engager-Klappe, über die Herzspitze („transapikal“) eingeführt werden. Prof. Laufer: „Am Zielort wird zunächst die verengte Klappe mit einem auf der Katheterspitze angebrachten Ballon gedehnt. Nach dieser ‚Klappensprengung‘ („Valvuloplastie“) wird die biologische Herzklappe eingebracht, freigesetzt und an der vorgesehenen Stelle fixiert. Sie wird dabei in die eigene verkalkte Herzklappe gesetzt. Das alles geschieht bei schlagendem Herzen, die Herz-Lungen-Maschine wird nicht benötigt.“

Neue Engager™-Klappe erstmals im AKH Wien implantiert

Univ.-Prof. Dr. Wilfried Wisser (Klin. Abt. für Herzchirurgie, AKH/MedUni Wien): „Die Engager-Klappe kann minimalinvasiv mittels Katheter über die Herzspitze („Apex“) implantiert werden. Beim transapikalen Ansatz wird die Ventrikelspitze (Spitze der linken Herzkammer) punktiert, um einen direkten Zugang zum Herzen zu erhalten. Etwa 20 Prozent der TAVI-Verfahren weltweit werden transapikal durchgeführt.“

Das Engager-System besteht aus Taschen aus Rinder-Gewebe und einem selbst-expandierenden Gerüst aus einer Nickel-Titan-Legierung (Nitinol). Spezielle Kontrollarme erlauben eine genaue Kontrolle über den Sitz der Herzklappe bei der Implantation. Prof. Wisser: „Diese neue Technologie zur Einpassung gewährleistet, dass weniger Zwischenräume zwischen alter und neuer Herzklappe verbleiben. Dadurch wird erreicht, dass möglichst wenig Blut an der Aortenklappe vorbei zurück in die linke Herzkammer fließt („Paravalvuläre Leckage“, PVL).“

Daten zur Sicherheit und klinischen Leistung des Systems liefert die europäische Engager-Pivotstudie, die mit 125 Patienten mit schwerer Aortenstenose an neun Zentren in Deutschland, Israel, Belgien und der Schweiz durchgeführt geführt. „Die 30-Tages-Mortalitätsrate aus jeder Ursache betrug 8,1 Prozent, die kardiovaskuläre Mortalitätsrate 7,3 Prozent, die Inzidenz für Schlaganfälle 1,7 Prozent und das Herzinfarkt-Risiko 0,9 Prozent“, so Prof. Wisser. „Die 30-Tage- Ergebnisse zeigten weiters, dass das Design der Klappe die präzise Positionierung erleichtert (98,4 Prozent), nur 4,2 Prozent der Studienteilnehmer zeigten eine milde, kein einziger Patient eine mittelschwere oder schwere PVL.“

Standardbehandlung am offenen Herzen für viele Patienten nicht geeignet

Die Standardbehandlung bei schwerer symptomatischer Aortenklappenstenose sei zwar der operative Aortenklappen-Ersatz am offenen Herzen unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine, sagt Univ.-Prof. Dr. Thomas Neunteufl (Klin. Abt. für Kardiologie, AKH/MedUni Wien). Doch diese Option kommt für einen erheblichen Teil der Betroffenen nicht in Betracht. „Bei älteren Patientinnen und Patienten kann, insbesondere bei Vorliegen relevanter Begleiterkrankungen, das Operationsrisiko deutlich erhöht sein. Registerdaten aus dem ‚Euro Heart Survey‘ zeigten, dass 33 Prozent der Patienten mit höhergradiger, symptomatischer Aortenstenose aufgrund des Alters und/oder signifikanter Begleiterkrankungen nicht für einen chirurgischen Klappenersatz berücksichtigt wurden.“

Prof. Laufer: „Die TAVI wird gegenwärtig als alternative Option für Patienten gesehen, die dringend eine Aortenklappe benötigen, bei denen jedoch eine Operation an der Herz-Lungen-Maschine mit einem hohen Risiko verbunden wäre, oder die als zu alt betrachtet werden.“

Klappe-in-Klappe (VIV): Neue Option für Zweitoperation

Eine zunehmend wichtige Rolle spielen minimal-invasive Verfahren auch, wenn nach einem ersten Klappen-Ersatz ein neuerlicher Eingriff notwendig wird. „Die Lebensdauer von Aortenklappenprothesen beträgt in der Regel 15 Jahre oder mehr. Degenerieren diese aufgrund ihres Alterungsprozesses, so benötigen die – meistens älteren oder alten – Patienten einen weiteren Herzklappenersatz“, so Prof. Laufer. „Allerdings sind einige Patienten nicht für eine zweite Operation am offenen Herzen geeignet, und das Transkatheter-‚Valve-in-Valve‘ (VIV, Klappe in der Klappe) kann für sie nun eine neue Behandlungsoption darstellen.“ Ergebnisse aus dem größten globalen VIV-Register, die kürzlich in Circulation („Transcatheter Aortic Valve Replacement for Degenerative Bioprosthetic Surgical Valves: Results from the Global Valve-in-Valve Registry) veröffentlicht wurden, zeigten, dass der VIV-Ansatz zu erheblichen den Blutfluss betreffenden Verbesserungen führte, einschließlich einer Verringerung des Strömungswiderstands des Blutes. Auch bei der 1-Jahres-Nachsorge blieben die positiven Behandlungsergebnisse mit 89 Prozent Überlebensrate nach einem Jahr erhalten. Prof. Laufer: „Das globale VIV-Register bewertete die Sicherheit und Wirksamkeit des VIV-Ansatzes und bescheinigt dem Eingriff hohe Erfolgsraten von 96,8 Prozent.“

Therapeutische Herausforderung Aortenklappenstenose – Gute TAVI-Ergebnisse

In Europa und Nordamerika ist die Aortenklappenstenose die häufigste Klappenerkrankung und die zweithäufigste Herzerkrankung nach der koronaren Herzkrankheit. „Drei bis fünf Personen pro 1.000 sind von einer Aortenstenose betroffen und die Inzidenz ist aufgrund der zunehmenden Lebenserwartung stark angestiegen. Über dem 65. Lebensjahr tritt sie bei zwei bis neun Prozent der Bevölkerung auf“, berichtet Kardiologe Prof. Neunteufl. Medikamente können zwar in manchen Fällen dazu beitragen, die Beschwerden zu lindern, die Herzfunktion zu stärken, den Blutdruck zu kontrollieren und Herzrhythmusstörungen zu unterdrücken, eine Heilung können sie jedoch nicht bewirken. Prof. Neunteufl: „Mit einem erfolgreichen Herzklappenersatz können die Beschwerden deutlich verbessert werden, die Lebenserwartung ist nach einem solchen Eingriff vergleichbar mit jener von gleichaltrigen Menschen ohne Aortenstenose.“

Generell zeigen Studien, dass Patienten, die eine TAVI erhielten, weil sie für die eine Operation am offenen Herzen nicht mehr in Frage kamen, weniger Beschwerden und eine höhere Lebensqualität hatten und länger lebten, verglichen mit jenen, die nur Medikamente erhielten, gegebenenfalls mit einer Ballondehnung der Klappe, so Prof. Neunteufl: „Zudem wurde gezeigt, dass die Lebenserwartung von Patientinnen und Patienten, die wegen eines erhöhten Operationsrisikos eine TAVI erhielten, vergleichbar war mit jener von Patienten, die am offenen Herzen operiert wurden.“

Die aktuellen Daten des deutschen Aortenklappen-Registers (German Aortic Valve RegistrY – GARY) zeigen den Stellenwert von TAVI. GARY ist ein großes Register, das TAVI und konventionelle Operation über einen längeren Zeitraum erfasst. Die aktuellen Daten mit einer Beobachtungszeit von einem Jahr liegen jetzt vor und beziehen sich auf 13.860 Patienten, die im Jahr 2011 in Deutschland einen Aortenklappen-Ersatz erhalten haben. Das wichtigste Ergebnis: Patienten mit hohem Risiko können mit der TAVI mindestens mit gleichem Erfolg behandelt werden, wie von einer konventionellen Operation am offenen Herzen. Allerdings mit dem Vorteil, dass TAVI der schonendere Eingriff ist.

Interdisziplinäre „Heart Teams“ für die optimale Therapie-Entscheidung

Die erweiterte Palette von Behandlungsoptionen und die zunehmenden Komplexität der therapeutischen Entscheidungsfindung, insbesondere bei älteren Menschen und Risikopatienten, stellen neue Anforderungen an die Interdisziplinarität, so Univ.-Prof. Dr. Raphael Rosenhek (Klin. Abt. für Kardiologie, AKH/MedUni Wien): „Wenn ein Eingriff erforderlich ist, wird die Wahl der optimierten Therapieoption auf Basis einer individuellen Risiko-Abwägung interdisziplinär durch ein ‚Heart Team‘ getroffen. Dieses setzt sich aus nicht-interventionellen sowie interventionellen Kardiologen, Herzchirurgen sowie anderen Fachrichtungen zusammen.“

Einen wesentlichen Beitrag zur Entscheidungsfindung haben aktuelle Studienergebnisse gebracht. „Wir wissen aus randomisierten Studien, die nun die Evidenzgrundlage für unsere Entscheidungsfindung bilden, dass Menschen mit symptomatischer hochgradigen Aortenstenose, die früher inoperabel waren, eine um rund 35 Prozent niedrigere Mortalität haben, wenn sie mit einer TAVI behandelt werden“, so Prof. Rosenhek. „Dieser Überlebensvorteil ist für zumindest drei Jahre bestätigt.“ Jüngere Patienten ohne Begleitmorbidität seien weiterhin eindeutige Kandidaten für eine konventionelle Chirurgie.

Prof. Rosenhek: „Es geht darum, die Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt zu stellen, um die bestmöglichen Therapien im Team anbieten zu können. Dabei gilt es die Vor- und Nachteile der jeweiligen Methoden zu berücksichtigen. Insbesondere müssen das Risiko und die technische Durchführbarkeit der jeweiligen Methode abgeschätzt werden.“

Info-Kasten: Die Aortenklappen-Stenose

Die Aortenklappe, eine der vier Herzklappen, liegt direkt am Ursprung der Hauptschlagader („Aorta“) aus der linken Herzkammer. Sie verhindert den Rückfluss des Blutes in der Erschlaffungsphase des Herzens. Bei einer krankhaften Verengung der Aortenklappe („Aortenklappen-Stenose“) kann sich diese nicht mehr einwandfrei öffnen und schließen, wodurch es zu einem verminderten Blutfluss in die Aorta kommt. Um trotzdem die gleiche Menge Blut in die Aorta zu pumpen, muss die linke Herzkammer („Ventrikel“) einen deutlich höheren Druck aufbauen, was wiederum zu einer Belastung des Herzmuskels führt und in einem späten Stadium zur Herzinsuffizienz führen kann.

Die drei typischen Symptome einer Aortenklappen-Stenose sind

  • Luftnot bzw. Kurzatmigkeit
  • Schmerzen bzw. Enge-Gefühl in der Brust
  • Schwindel bzw. Ohnmacht.

Tritt eines dieser Symptome bei einer Patientin oder einem Patienten mit einer schweren Aortenstenose auf, so verschlechtert sich die Prognose dramatisch mit einer Überlebensrate nach drei Jahren von lediglich rund 30 Prozent.

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Mag. Roland Bettschart, B&K – Bettschart & Kofler Kommunikationsberatung
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